Der neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, gab uns ein Interview und ging auf die enge Zusammenarbeit mit der IG Metall ein. Gemeinsam könne man die "Mammutaufgabe des Umbaus der Industrie" bewältigen.
Herr Staatsminister, herzlichen Glückwunsch zur Berufung, sie haben schnell die Anfrage der IG Metall zum gemeinsamen Gespräch angenommen. Welche Rolle spielen Gewerkschaften für sie – auch mit Blick auf demokratische Prozesse in Ostdeutschland?
Schneider: Die Gewerkschaften und ihre gewählten Arbeitnehmervertreter*innen in den Betrieben leisten einen wichtigen Beitrag zur Stärkung unserer Demokratie. Sie sind Sprachrohr, aber zugleich auch Zuhörer für die großen Themen unserer Zeit, Transformation, Klimawandel, Digitalisierung, die die Menschen in den Betrieben umtreibt. Ich baue auf eine enge Zusammenarbeit und den Dialog mit den Gewerkschaften insgesamt, besonders aber mit der IG Metall und ihren Betriebsrät*innen, denn vor uns liegt die Mammutaufgabe des Umbaus der Industrie. Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass dieser gelingt und fair und sozial gestaltet werden kann. Das ist auch wichtig für die Stabilität unserer Demokratie.
Die Transformation stellt viele Betriebe und Regionen im Osten vor große Herausforderungen. Was wird die neue Bundesregierung tun, damit die Transformation gelingt und Industriearbeitsplätze und –standorte gesichert werden?
Schneider: Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag wichtige Weichenstellungen für eine klare Entwicklungsrichtung des Landes getroffen und ihre Vorhaben für diese Legislaturperiode beschrieben. Wir wollen u.a. zahlreiche Förderprogramme fokussieren, um die Transformation in den Betrieben und Branchen, aber auch in Zukunftsfeldern, bspw. der Produktion von grünem Wasserstoff, voranzutreiben. Wirtschaft und Gesellschaft wissen jetzt, wo es hingehen soll. Die Klarheit in der industriepolitischen Entwicklung ist gerade auch für Ostdeutschland wichtig: Ansiedlung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben können nun viel entschiedener vorangetrieben werden. Die vorhandenen, gut ausgebildeten Fachkräfte, müssen auch ordentliches Geld verdienen, dem Arbeits- und Fachkräftemangel muss gezielt entgegengewirkt werden. Dazu gehören neue Qualifizierungsangebote und geeignete Förderprogramme, die die Ansiedlungspolitik in prosperierenden, aber auch ländlichen Regionen unterstützen. Über 30 Jahre nach der Wende sind die Folgen von Deindustrialisierung und Abwanderung immer noch an vielen ausblutenden Regionen zu erkennen. Ich will, Innovationen und Zukunftstechnologien insbesondere in Ostdeutschland angesiedelt sehen. Dafür werde ich mich einsetzen.
Sind sie optimistisch?
Schneider: Ja klar, wir werden uns gemeinsam für die Zukunft aufstellen. Zwar liegen vor uns große Herausforderungen, aber, wenn wir entschieden an unseren Vorhaben dranbleiben, können wir es schaffen. Dafür danke ich ausdrücklich den Gewerkschaften. Die Themen Mitbestimmung und Tarifbindung sind in Ostdeutschland entscheidend. Denn eines dürfen wir nicht vergessen: nachhaltiges Wirtschaftswachstum und gute Lebensbedingungen gehören zusammen. Nur wenn die Arbeitnehmer*innen gute Arbeits- und Lebensbedingungen in den ostdeutschen Regionen vorfinden, werden auch die jungen Menschen bleiben oder wiederkommen. Und gerade sie brauchen wir dringend für einen gelingenden Transformationsprozess. Der demografische Wandel ist ja gerade in Ostdeutschland auch eine Folge der Transformation der Nachwendezeit, wo viele Junge Ostdeutschland wegen fehlender Perspektiven den Rücken gekehrt haben. Das darf nicht wieder passieren.
Wo muss die Politik hier handeln?
Schneider: Die Politik wird die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen, handeln müssen aber auch die die Unternehmen. Die demographische Entwicklung gerade in Ostdeutschland ist die größte Gefahr für Wachstum und Wohlstand. Die Flächenländer in Ostdeutschland werden zwischen 3 bis 11 Prozent ihrer Bevölkerung verlieren. Der Arbeits- und Fachkräftemangel wird daher zunehmen. 38 Prozent der Fachkräftestellen blieben bereits 2020 in Ostdeutschland unbesetzt. Wenn wir dieser Entwicklung entgegenwirken wollen, werden die Unternehmen attraktivere Arbeitsbedingungen mit mehr tarifgebundenen Beschäftigungsverhältnissen zur Verfügung stellen müssen.
Wie will die Bundesregierung das konkret unterstützen?
Schneider: Wir werden die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro in diesem Jahr umsetzen. Ein wichtiger Schritt zur Bekämpfung von Lohn- und Altersarmut. Die Erhöhung des Mindestlohns wird überwiegend den Beschäftigten in Ostdeutschland zu Gute kommen. Die Löhne liegen im Osten durchschnittlich um 22 Prozent unter denen in Westdeutschland. Ostdeutschland als Niedriglohnregion, das ist mehr als 30 Jahre nach der Einheit keine Perspektive für eine gute wirtschaftliche und soziale Entwicklung Ostdeutschlands. Wir müssen deshalb auch mehr Tarifbindung erreichen. Das ist vorrangig Aufgabe der Gewerkschaften, aber wir werden das aus dem Kanzleramt unterstützen und begleiten. Das Lohndumping im Osten muss endlich beendet werden.