Wolfgang Lemb, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall im Interview
Wie ernst ist die wirtschaftliche Lage?
Der konjunkturelle Sog nach unten ist ungebrochen. Davon sind mittlerweile alle Branchen und Regionen massiv betroffen. Die IG Metall befragt nun schon das dritte Mal in Folge ihre Betriebsräte in den Unternehmen, wie dort die Situation ist. Nächste Woche erwarten wir die jüngste Auswertung der Mai-Zahlen. Dann haben wir ein klares Bild. Es ist richtig, dass die EU und die Bundesregierung mit einem milliardenschweren Konjunkturprogramm der Bundesregierung die Wirtschaft wieder zum Laufen bringen will. Ebenso unterstützen die Bundesländer den Wiederanlauf in den Regionen. Wir müssen verhindern, dass wir im Herbst Massenarbeitslosigkeit und Insolvenzen haben. Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass Steuergeld sinnvoll in Zukunft investiert wird und wir nach Corona nachhaltig durchstarten können.
Wie steht denn vor diesem Hintergrund der Osten da?
Die Anmeldungen für Kurzarbeit nehmen in einem unvorstellbaren Maß zu. Im April waren es laut sächsischer Landesarbeitsagentur noch 43.000. Im Mai sind in Sachsen mehr als eine halbe Million Menschen in Kurzarbeit. Auch die Arbeitslosenzahlen steigen deutlich. Es bestehen Liquiditätsprobleme und hohe Verunsicherung bei den Beschäftigten und in den Unternehmen. A. Allerdings gilt das für den Osten und den Westen gleichermaßen.
Das Konjunkturpaket der Bundesregierung wird vielfach gelobt. Hilft es die Rezession zu überwinden?
Das ist keineswegs sicher. Es sollte ein Konjunkturimpuls gesetzt werden, erst in einigen Wochen werden wir sehen, ob er wirkt. Dass die Bundesregierung sich gegen Kaufanreize für moderne, emissionsarme Verbrenner entschieden hat, ist ein Fehler. Es ist nicht plausibel, warum hunderttausende Jobs in der Diesel- und Benzintechnologie, in der hohes Wirtschafts- und Innovationspotenzial steckt, gefährdet werden. Der Verband der Automobilindustrie rechnet damit, dass bis Ende Juli 2020 zwei Drittel aller Automobilhersteller und –zulieferer Arbeitsplätze abbauen. Während in anderen Ländern die Automobil- und Zulieferindustrie gestützt wird, hat die Bundesregierung darauf verzichtet.
Die IG Metall-Bezirke sind intensiv in Gesprächen mit der Politik – auch in den Bundesländern. Um was geht es da?
Wir bringen uns mit unseren Konzepten und Kompetenzen ein und wollen Treiber der Transformation sein. Erst diese Woche hat der Bezirk Berlin-Brandenburg-Sachsen einen „4-Punkte-Plan“ zur Sicherung des Industriestandortes Sachsen vorgelegt und mit Wirtschaftsminister Dulig diskutiert. Neben der Liquiditätssicherung geht es auch um die Gestaltung der nachhaltigen Transformation. Für uns gehören Fachkräftesicherung, Gute Arbeit, Ausbau der Mitbestimmung und Tarifbindung dazu. Mit vielen Akteuren gemeinsam wollen wir #Fairwandel bei der Transformation. Ob und wie die Weichen dafür gestellt werden, darüber entscheiden wir in den kommenden Wochen und Monaten.
Das Interview wurde von Simone Ebel-Schmidt geführt.